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Syrien

  1. »Fahr, häng und lass und richt dein Maß,
    bis du erreichst die rechte Straß,
    Und kannst du das, bist du als Seemann weise.
    Sag mir, wohin steht dir dein Sinn,
    ob ich dir raten kann darin?
    Spar mir nicht drin, sonst reut dich deine Reise!«
    Der Knabe sprach: »Bei dieser Fahrt
    magst du mich gerne weisen,
    Herzensfräulein zart:
    Ganz ungespart sei meines Herzens Trachten!
    Nach Syrien steht mein Gedank
    zum heil’gen Grab nach deinem Rat.
    Ganz sonder Wank auf deinen Dank
    will ich nun täglich achten.«
    Sie fingen sich in Lüsten mit Armen liebevoll;
    wie sie einander küssten, da gefiel es beiden wohl.
    Sie sprach: »Fahr hin mit Sitten,
    hüt dich vor Calamiten,
    wenn ich dir raten soll!
  2. Den Bug zur Hand kehr nach Levant,
    und nimm zur Hilfe ohne Tand
    den Wind Ponant, der bläst vom achtern Ende.
    Des Segels Last zieh auf zum Mast
    hoch an den Gipfel, fang den Gast,
    das Steuer gefasst, dass dir das Schiff nicht wende!
    Maistro provenz hilft dir voran,
    und günstig ist dir auch der Tramontan,
    bei Greco lenke schnell nach Luv die Wante!
    Cazza pogia! Carga! Behend,
    nimm Maß und richt den Kompaß nach dem Firmament!
    Gib acht und hüte dich vor dem Levante!
    Bass alla banda springen tief in die Flut hinein!
    Lass dich vom Sturm nicht zwingen,
    fahr in den Hafen ein!
    Und nahst du dich der Pforte,
    so meide seichte Orte
    und wirf den Ankerstein!
  3. Von Zeit zu Zeit naht dir mit Neid
    Scirocc in großem Widerstreit.
    Der bringt dir Leid und will dein Schiff zerschellen.
    Doch wächst sein Spiel zum Sturmgebrüll,
    wend einen Strich nach Nord dein Ziel,
    und wird dir schwül, darf dir der Mut nicht fehlen!
    Cala vela! Eiola grosso bald!
    Ermahne deine Mannschaft! Gib der Drift nicht Halt,
    die mit Gewalt wird Austro bald vertreiben! Der kann dir nun zustatten kommen
    bei halbem Wind. Denn wie ich früher hab vernommen,
    kannst du mit Frommen in Gaiola reiten.
    Das Steuer richte weise und sanft nach deinem Sinn!
    Coro hilft deiner Reise,
    er führt dich schnell dahin
    zum Weg nach Oriente.
    Gott dich her wieder sende,
    trauer Geselle mein!«
  1. UAr heng und lass / halt jn der mass /
    bys das du uindst die rechten sträss /
    und kanstu das / so bys dus morner weyse /
    Sag mir wo hin / stat dir dein syn /
    ob ich dir raten kund darjnn /
    spar mich nicht drîn / oder du wirst greyse /
    Der knab der sprach jn diser uart /
    mag du mir wol erschiessen
    herczen freulin zart /
    gar unu’spart ist dir meins herczen trachtn’ /
    Jnsuria stet mein gedanck /
    zufronem grab nach deinem rat
    gar sunder wangk / nach deinem dankh /
    so wil ich teglich achten /
    Sy fiengen sich mit luste / ze hauff mit ermlin vol /
    jr ains das ander kusste / das geuiel jn bayden wol /
    sy sprach uar hin mit sitten /
    hüt dich uor kalamiten /
    seyd ich dir raten sol /
  2. DJe brüff ze hant / ker jn leuant /
    und nym ze hilff an allen tant /
    den wint ponant / mitten jn dem poppen /
    Des segels last / zeuch an dem mast /
    hoch auf dem giphel vach den gast /
    tymun halt uast / und la das schiff nicht noppen /
    Maistro prouentz hilft dir vordan /
    mit gunst des klügen elemente trumetan /
    grego der man / vor dem so müstu ortzen /
    Challa potzu karga behend /
    mit der mensur und nach des kimpas firmament /
    den magnet lent / leuant la dich nicht forczen /
    Wasßa alabanda sprîgen / teuff in die sutten hinab /
    forton la dich nicht dringen /
    du uar ee jn die hab /
    mag dir die porten werden /
    so hütt dich uor der erden /
    du wirff der ancker ab /
  3. ZV manger zeit / kompt dir mit neyd /
    scherock mit grossem widerstreit /
    mit dem so leid / der schrotten jn dem wagen /
    Derselbig wurm / pringt geren sturm /
    uach ain quart mit des zirkels furm /
    ob du wirst durm / so tü doch nicht uerzagen /
    Challa fella eyola grosso pald /
    plasübla rüg dy marner mit dem strang nicht halt /
    kompt mit gewalt / der osst intüt uertreiben /
    Derselb mag dir zestatten kûmen /
    mit halber macht als ich es uormals hab vernumen /
    ysso zu frûmen tü jm chayola reiden /
    Die stewr richt im clüge /
    engegen mit dem syn /
    kompt dann gorwin mit füge /
    der iagt dich bald dahin /
    den weg gen Oriente /
    got dich herwider sendte /
    du traut geselle mein.

Oswald von Wolkenstein (1377–1445), Lied Nr. 17, verfasst 1410, wahrscheinlich auf dem Rückweg aus dem »Heiligen Land«. Umschrift von Klaus J. Schönmetzler. Rhythmisierung und Satz von Hraban.

In Anlehnung an die Tradition des Tageliedes verschlüsseln die »Reiseanweisungen« hier das Liebesspiel. Die erotische Interpretation bleibt dem werten Publikum überlassen.
Als Vorbild für die reiche Verwendung nautischer Ausdrücke nennt Schönmetzler Tannhäusers »Kreuzlied«.

Anmerkungen

UAr heng und lass / halt jn der mass / bys das du uindst die rechten sträss
= Fahr los, setze die Segel, aber sei maßvoll, bis du den rechten Kurs hast!

im Textitalienischdeutsch
kalamitencalamitader Magnetberg;
ferner: die Kalamitäten in der Liebe
brüffprovoder Bug
poppenpoppadas Heck
tymuntimonedas Steuerruder
ortzenorzarenach Luv (zum Wind) drehen
Challa potzu kargaCazza poggia! CargaZieh das Tau an! Schnell!
Wasßa alabandaBass alla bandaUntiefen/Riffe auf Backbord
fortonfortunahier: das üble Geschick, der Sturm
Challa fella eyola grosso paldCala vela! Eiola grosso bald!Streich die Segel! Los, dorthin, Junge!
yssoesso / lui stessomit seiner Hilfe
chayolagaioladie Dünung
leuantLevanteOstwind
ponantPonenteWestwind
Maistro prouentzMaistro provenzNordwestwind
trumetanTramontanNordwind
gregoGrecoNordostwind
scherockSciroccoSüdostwind
osstAustroSüdwind
gorwinCoroSüdwestwind

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