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Die Jammerballade einer alten Klempnersfrau

Nun spitzt mal eure Ohren und hört zu,
was eine alte Frau euch zu erzählen hat,
bevor sie wie ein abgewelktes Blatt
dort unten fault, wo jeder seine Ruh
und seinen Frieden finden wird, wenn er
nicht mehr die Beine heben kann.
Es sind schon mehr als hundert Jahre her,
dass ich geschlafen hab bei einem Mann.

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Die kleine weiße Hexe da, das junge Ding,
ist schuld daran, dass ich so runzlig bin.
Denn ehe ich dies Lustgeschenk empfing,
da war mein Haar noch nicht so grau, mein Kinn
noch nicht so spitz. Auf meine weiße Haut
fiel jeder Mann herein. Ich war nicht faul
mit meiner Gunst. Ich ritt auf manchem Gaul,
der lief zum ersten Mal mit einer Braut.

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Und habe manchem auch mein Hinterteil
gezeigt, den ich nicht leiden konnte, weil
er mir nicht reich genug erschien und stark.
Und bin doch reingefallen auf ein Aas,
das außer seinem Bart nur einen Quark
besaß und mir vom Brot die Butter fraß.
Ich werde heute noch ganz rot vor Scham,
dass er mich nur der Gelder wegen nahm.

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Wie hat er mich herumgeboxt und schikaniert
und jede Tollheit mit mir ausprobiert.
Gerochen hat er wie im Pferdestall
ein Haufen Mist. Und wenn ich ihm den Mund
vor Ekel und in meiner Wut, ganz wund
gebissen habe, warf der grobe Hund
mich an die Wand wie einen Ball.
Jetzt hab ich selber kaum ein Brot, mich satt zu essen
das werd ich ihm mein Lebtag nicht vergessen.

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Er ist schon ber dreißig Jahre tot
und ließ mich hier zurück in meiner Not,
mit meiner welken Haut, im grauen Haar.
Wenn ich im Spiegel manchmal mein Gesicht
betrachte, denk ich oft: Das bist du nicht!
Und doch ist dies Gesicht so sonnenklar
mein Ebenbild... Ich könnte mich zerreißen
und den verfluchten Spiegel kurz und klein zerschmeißen.

>

Von meiner Schönheit ist nicht eine Spur
mehr da, von meinen Brauen, wie der Sichelmond
so schön gewölbt, und von der Perlenschnur
der Zähne, von den Augen, glutbewohnt,
von meinen Lippen, feucht und feuerrot
wie die Korallen, die das Meer umspült,
von meinem Haar, das sich noch weicher fühlt
wie Seidenzeug aus dem Chinesenland.

>

Von meiner Schulter hellem Elfenbein,
von meinem Hals, wie Schwanenflaum so weiß,
und dann die kleinen Brüste, mein
verliebtes Apfelpaar, so glühendheiß,
dass jeder Feuer fing, wenn er sie sah.
Dazu die schlanken Hüften und der Bauch
mit seiner kleinen Muschel da
im schwarzen Rosenstrauch?

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... dahingewelkt wie ein Kartoffelfeld,
verrunzelt Stirn und Doppelkinn,
von Blatternarben bös entstellt
bis zu den abgegriffenen Brüsten hin.
Die hängen auf dem Lumpensack,
auf meinem grauen Bauch herum.
Ach Gott, wie hat das Männerpack
mich stumpf gemacht und wurzelkrumm.

>

Da kraucht man wie ein Wurm daher,
als wär der Buckel hundert Zentner schwer.
Und hockt am Ofen, starrt ins Feuerloch
und denkt an all das Böse auf der Welt,
dass uns nun aus dem schweren Joch,
von diesen Hungertänzen um das bisschen Geld,
der Herr erlösen mchte... Ja!
Wir armen Frauen, wozu sind wir noch da?


Text: François Villon, Nachdichtung: Paul Zech