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Der Rabe und die Taube

Sieh sie dir an, die Taube,
wie sie vor Zeiten flog,
mit eines Ölbaums Zweige
den Weg des Friedens zog.

Wollte sie mir nur helfen,
ich hätt es nicht erkannt;
wollte sie mich nur täuschen,
sich gut statt falsch benannt:

Sie hackt mich nieder.

Dort wo der Rabe kreiset,
riecht es nach Tod und Blut,
voll Missmut seine Stimme
und unheilvoll sein Flug.

Sucht er nur nach Verwestem,
bringt er den Tod herbei;
bracht er mir nicht auch Leben
und zeigte mir Schönheit?

Er zeigte mir noch mehr.

Wenn sie sprach, wurd ich traurig –
sie war ein Freudenschrei.
Ihn konnt ich nicht verstehen –
er wollte Liebe sein.

Ich wollte sie erforschen –
sie gab Unwissenheit.
An ihm wollt ich mich freuen –
er war die Traurigkeit.

Unter den weissen Federn
lebt nur ein blinder Geist,
dem nur ein dumpfes Ahnen
den Weg zum Himmel weist.

Sie stellt um ihre Träume
ein hohes Mauerwerk.
Sie hackt nur schnell zur Seite,
so dass es keiner merkt.

Vom blinden Geist verachtet,
bemüht der Rabe sich,
den goldnen Weg zu finden,
doch es gelingt ihm nicht.

Er sucht das Gute, Schöne,
ein Leben ohne Pein.
Doch alles, was er findet,
ist nur der Tod allein.

Er zeigt meinen Tod an.
Sie zieret sich noch mehr.

Ich hör den Raben schreien.
Ich hör der Taube Ruf.
Es war der Trug der beiden,
der in mir Leben schuf.

Sie haben mir die Künste
des Denkens offenbart.
So haben sich die beiden
in meinem Geist gepaart.

Ich wünsch, sie wärn noch bei mir.
Ich weiss nicht, wo sie sind.
Sie haben mich verlassen –
es blieb mir nur ihr Kind.

Schwarzweiss sind seine Federn,
es lügt mit jedem Hauch.
Ich denke, und schon weint es –
doch manchmal lacht es auch.

Ich hör den Raben schreien.
Ich hör der Taube Ruf.
Es war das Bild der beiden,
das mir den Geist erschuf.

Sie lehrten mich zu denken.
Sie lehrten mich zu sehn.
Sie lehrten mich verstehen. –
Wie sollte ich verstehen!?

Ich will es nicht verstehen!
Ich will nur, dass es schweigt!
Es ist ein Kind, gezeugt aus
Lüge und Einsamkeit.

Es will Verborgnes finden.
Es ist voll Licht, doch blind.
Und ich kann es nicht töten,
denn ich bin selbst das Kind.


T&M: Agi Schnyder (Divina Commedia), Februar 1999

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